Verlasset Die Berge II

Der Blitz war ganz weit weg von uns und traf nicht mal die Erde. Es war bisher eine ziemlich langweilige Wanderung.
„Puh, das war aber knapp, Jacques.“
„Nein, das war es nicht, Gerold.“ Auch wenn ich mittlerweile wusste, dass es nichts half, Gerold die Wahrheit nahezulegen, tat ich es immer wieder.
„Doch, das war sehr knapp.“
„Ja, sicher, ich glaube, ich habe schon die Wärme des Blitzes gespürt!“
„Ehrlich?“
„Nein.“ Selbst Jacques nahm seine Sorgen nicht mehr ernst.

Nach einer weiteren Wegstrecke bemerkten wir, dass es zwar bergab ging, wir aber nur noch weiter ins Gebirge vordrangen.
„Oh, Mist. Das hier ist nur ein kleines Tief und nicht das Tal.“
„Aber wir sind doch in die richtige Richtung gegangen.“, konstatierte ich.
„Ja, aber vor einer halben Stunde hätten wir links abbiegen müssen.“
„Dann gehen wir jetzt einfach quer durch das Laub.“ Ich hatte mit einer Äußerung der Unzufriedenheit seitens Gerold gerechnet, er schwieg aber. Vielleicht ließ die Situation sein Gemüt Depressionen hervorrufen. Jacques versuchte, ihn mit einem kleinen Plausch zu erheitern:
„Was hast du am Freitag auf dem Fest eigentlich noch so getrieben, als ich und Sophie schon schlafen gingen?“
„Och, da war nicht mehr viel los.“
„Nicht mehr viel los? Ich habe gehört, dass Erhardt und Ottfried noch ein ganzes Bierfass auf einmal geleert haben.“
„Ja, und Erhardt hat sich danach in die Hecke übergeben.“
„Damit war ja irgendwie zu rechnen!“, lachte er in die Weite des Waldes, während Gerold nach unten schaute.
Es ging nicht weiter im Dialog, da half ich aus:
„Hat sich Erhardt nicht vorgenommen, sich die Haare blond zu machen?“
„Das hat er schon längst getan. Und Ottfried hat total abgenommen.“, antwortete Jacques und nicht Gerold.
„Ja, das hab ich schon gesehen.“ Da sprach ich den Miesepeter einfach direkt an:
„Gerold, willst du dir die Haare nicht auch mal blondieren?“
„Ich dachte, du fragst mich jetzt, ob ich nicht auch mal abnehmen will.“
In dem Moment dachte ich, dass wir endlich aus dem Gebirgstief herausmussten, damit Gerold aus seinem Stimmungstief herauskam.

Dann waren wir endlich an einer hohen Stelle angekommen, von wo aus es nur noch bergab ging in alle Richtungen. Die Stelle war auch zugleich eine Lichtung im schier endlosen Wald.
„Und wo geht es nun hin?“, fragte Gerold.
„Na, da runter.“
„Aber nicht wieder zurück!“
„Die Flucht nach vorne.“
Wie der Zufall es so wollte, kamen uns ein paar Leute entgegen.
„Frag die doch nach dem Weg!“ Ich lehnte Gerolds Vorschlag ab.
„Warum denn nicht?“
„Frag doch selber.“
„Entschuldigen Sie, kommen Sie gerade aus der Stadt?“
„Nein, wir gehen dorthin zurück.“
„Was?“, fragte Jacques, aber das verstand keiner von uns.
„Sie gehen doch gerade den Berg hoch, die Stadt liegt aber im Tal!“
„Ja,“, meinte die Frau, „aber auf der anderen Seite des Berges.“
Ja, natürlich hatten wir uns verlaufen, aber dass man so gravierend daneben liegen kann, zogen wir zu keinem Zeitpunkt in Betracht.
„Wollen Sie vielleicht mit uns kommen?“
„Nein.“, sagten Jacques und ich.
„Ja.“, sagte Gerold.
„Dann gehen wir ohne dich weiter.“, schlussfolgerte ich.
„Ich will aber nicht ohne euch gehen.“
„Dann stehst du jetzt vor einer Wahl.“, so stellte ich Gerold vor die Wahl.
„Kommt ihr doch einfach mit den Zweien hier und mir mit!“
„Nein.“
„Och, Mensch!“ Nach ein paar Sekunden Frust hat sich Gerold dann gesammelt und die beiden Reisenden verabschiedet:
„Danke für das Angebot, aber ich bleibe bei denen hier.“
„Na gut.“, sagten sie und verschwanden im Unterholz.
„Wohin gehen wir denn jetzt weiter?“

Gute Frage.

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